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Internationaler Strafgerichtshof und Jugoslawientribunal


Institutionen als Vorreiter normativen Wandels im völkerrechtlichen Friedenssicherungssystem


Reihe : Regensburger Schriften aus Philosophie, Politik, Gesellschaft und Geschichte
Bd. 6, 2003, 96 S., 17.90 EUR, br., ISBN 3-8258-6592-4












Inhalt:
















Nach einer populären These hat im völkerrechtlichen Friedenssicherungssystem mit dem Ende des Kalten Krieges eine grundlegende inhaltliche Neuorientierung stattgefunden: Stand im Völkerrecht der Nachkriegsära ein auf die Nationalstaaten bezogener Souveränitätsschutz ganz im Vordergrund, setzt sich seit Beginn der Neunzigerjahre eine Beurteilungspraxis durch, die weit stärker als bisher am Schutz nicht nur des Staates, sondern auch des Individuums ausgerichtet ist.

Zum Beleg wird häufig angeführt, auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts sei mit den Ad-hoc-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda, aber auch mit dem Ständigen Internationalen Strafgerichtshof Institutionen geschaffen worden, die dieser inhaltlichen Neuorientierung in symptomatischer Weise Ausdruck verliehen.














Die vorliegende Darstellung versucht nachzuvollziehen, ob eine solche Gewichtsverschiebung tatsächlich zu beobachten ist. Die Arbeit des Jugoslawientribunals und das 1998 verabschiedete Römische Statut für den Ständigen Strafgerichtshof stehen dabei im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.












Thesen:















a)

Die entstehende Völkerstrafgerichtsbarkeit ergänzt das Sanktionssystem des Völkerrechts an einer Stelle, an der die Schwächen dieses Systems bisher besonders augenfällig waren: im Bereich des Menschenrechtsschutzes und des humanitären (Kriegs-)Völkerrechts. Institutionalisierte Implementierungs-mechanismen fehlen hier bislang fast gänzlich.










b)

Für die Ordnungs- und Artikulationsfunktion des Völkerrechts ist mit den Kodifikationsbemühungen um die Grundlagen des ICTY und des ICC ein deutlicher Fortschritt verbunden: die Zusammenfassung und Präzisierung der bestehenden Regelungen verstärkt deren Signalwirkung und kann helfen, ein entsprechendes Rechts- und Wertebewußtsein zu etablieren („positive“ Generalprävention). Einem wichtigen Argument gegen das Nürnberger Tribunal wird der Boden entzogen (Verstoß gegen den nullum-crimen-Grundsatz). Die praktische Rechtsumsetzung kann diese Effekte noch verstärken.










c)

Ordnungs- und Artikulationsfunktion machen mit Errichtung des ICC gegenüber dem ICTY (und dem Konzept der Ad-hoc-Tribunale im allgemeinen) noch weitere Fortschritte: der Vorwurf selektiver Gerechtigkeit wird zukünftig schwerer zu rechtfertigen sein. Außerdem bietet die erleichterte Verfügbarkeit Vorteile und es sind positive Auswirkungen für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu erwarten.










d)

Vom Idealbild einer universellen Völkerstrafgerichtsbarkeit sind Ad-hoc-Tribunale wie Ständiger Strafgerichtshof jedoch noch weit entfernt: symptomatisch klar wird das im Bereich der eng gefassten Zuständigkeitsregelungen für den ICC.

Effektivitätsbedenken können außerdem auf die Erfahrungen aus der bisherigen Arbeit des ICTY gestützt werden: Das Jugoslawientribunal ist mit einer größeren Kompetenzfülle ausgestattet als der ICC. Trotzdem finden die betroffenen Nationalstaaten vielfache Obstruktionsmöglichkeiten.










e)

Trotz dieser Abstriche hat der Ständige Strafgerichtshof eine echte Entwicklungschance. Argumente sind die in der jüngeren Vergangenheit zu beobachtende zunehmende Aktivität des Jugoslawientribunals und die Chancen, die für den ICC mit der Überweisungskompetenz des Sicherheitsrats verbunden sind: Verweist der Sicherheitsrat einen Konflikt an den Ständigen Strafgerichtshof kommen viele Zuständigkeitshürden, die das ICC-Statut enthält, gar nicht erst zur Geltung.











f)

Dafür, dass die mit der Überweisungskompetenz des Sicherheitsrats für den ICC verbundenen Entwicklungschancen tatsächlich genutzt werden, spricht eine Beobachtung zur gegenwärtig vorherrschenden Konfliktstruktur: es dominiert der innerstaatliche, ethnisch-kulturell motivierte Konflikt. Hier dürften die politischen Widerstände gegen ein internationales Einschreiten angesichts gravierender Menschenrechtsverletzungen geringer sein als beim „klassischen Interstaatenkonflikt“.











g)

Das Völkerstrafrecht stellt im existierenden völkerrechtlichen Friedenssicherungssystem in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme dar: so geht es im Völkerstrafrecht seit seinen Ursprüngen um die individuelle Verantwortlichkeit einzelner und es stand außerdem von Beginn an der Schutz von Individualrechtsgütern ganz im Vordergrund.

Im „völkerrechtlichen Normalfall“ sind dagegen nach wie vor die Staaten als wichtigste Völkerrechtssubjekte die primären Regelungsadressaten völkerrechtlicher Normen.










h)

Eine Parallelentwicklung zum Völkerstrafrecht bei anderen völkerrechtlichen Fragestellung (Immunitätsrecht, kollektive humanitäre Intervention, nicht-mandatierte Intervention), die in gleicher Weise auf eine grundsätzliche Gewichtsverschiebung vom völkerrechtlichen Souveränitäts- zum Individualschutz hindeuten könnte, ist allenfalls sehr vorsichtig zu konstatieren. Die entsprechenden „Präzedenzfälle“ lassen weiten Interpretationsspielraum.










i)

Ein „Epochenwandel“ im völkerrechtlichen Friedenssicherungssytem kündigt sich also bestenfalls an, ist aber keinesfalls schon vollzogen. Denn selbst das Völkerstrafrecht als „avantgardistischster Teil“ einer solchen Entwicklung ist nach wie vor stark von souveränitätsschützenden Aspekten geprägt.














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